Karten sind wichtig. Sie ermöglichen uns eine Orientierung zu geben und sie vermitteln uns ein ganz bestimmtes Bild der Welt, von der wir umgeben sind. Das ständige Wissen des Menschen darüber, wo er sich gerade befindet, die immer abrufbaren mobilen Karten, Stadtpläne – all das ordnet und eröffnet immer wieder neue Kategorien. Damit kommt Karten eine gewisse Art von Macht zu, denn sie prägen das Handeln, Denken und die Wahrnehmung jedes Einzelnen [Georg Glasze: Karten und Kartographie. In: Rolfes, Manfred und Anke Uhlenwinkel (Hrsg. 2013): Metzler Handbuch Geographieunterricht. Ein Leitfaden für Praxis und Ausbildung. Westermann: 333-341].
Es liegt auf der Hand, dass das Anfertigen von Karten, ganz ähnlich wie etwa das Fotografieren, kaum die Möglichkeit mit sich bringt, die Welt so abzubilden, wie sie tatsächlich ist. Wie könnte eine dreidimensionale, sich stetig verändernde, dynamische und sich bewegende Welt, die immer den äußeren Einflüssen sowie deren Wandel unterliegt und deren Wahrnehmung durch den Menschen immer bloß subjektiv sein kann, auf einen zweidimensionalen Grund gebannt werden?
Die Bildhauerin Beate Gärtner beschäftigt sich in ihrem Werk mit dieser Frage und der damit verbundenen suggerierten Objektivität von technischen Daten, Kartographie, Stadtplänen und Navigationshilfen.
Vor allem von Interesse sind für die Künstlerin die Technisierung der Welt und der hieraus entstehende Einfluss auf Individuum und Gesellschaft. Die zunehmende Rationalisierung und der technische Fortschritt führen, neben der Veränderung der Wahrnehmung, unter anderem auch dazu, dass der Mensch stetig mehr Informationen im Internet über sich preisgibt, Unternehmen Daten über ihn sammeln und er so zunehmend gläsern wird. All diese Fragen und Probleme beschäftigen Beate Gärtner.
Ausgehend von GPS-Punkten, Plänen und Karten, die auch für die Technisierung an sich stehen, sucht sie nach Formen des künstlerischen Ausdrucks und bildnerischen Darstellungsweisen. Mit ihrer Werkgruppe „Zwischen den Koordinaten N51°22‘44.275‘‘ O7°0‘49.78‘‘ und N51°23‘25.764‘‘ O7°4‘43.284‘‘“ zerlegt die Künstlerin diese in ihre Einzelteile, verschiebt und transformiert sie, verändert Maßstäbe und formt um. Damit bewegt Beate Gärtner die kartographischen Daten weg von dem, was sie eigentlich waren und lässt sie zu Bildern und Installationen mit klaren geometrischen Strukturen werden.
Beate Gärtner konzentriert sich damit auf das Finden von Formen, welche technisch vielseitig verarbeitet werden. Dabei steht neben der thematischen Annäherung an die beschriebenen Fragestellungen auch die Materialität im Vordergrund. Hierbei ist stets sichtbar, wie Beate Gärtner gearbeitet hat und Arbeitsspuren werden nicht versteckt. Fingerabdrücke im Wachs, die sichtbare Verknotung der Fäden – all das steht für die häufig suggerierte, aber eben nicht vorhandene Objektivität von allem Digitalem und Technischem. So entstehen Videoarbeiten, Installationen, Fadenzeichnungen und Objekte, die die von der Künstlerin behandelte Thematik auf verschiedene Art und Weise in den Blick nehmen.
Die Videoarbeit „Walk the line“ zeigt den Arbeitsweg der Künstlerin. Ein iPhone spielt, auf einem Sockel unter einem Plexiglaskasten liegend, ein Video ab. Der Ton wird, durch das Plexiglas, verzerrt. Die Betrachtenden sehen nur ihre Füße, die eine fiktive Linie entlanglaufen, die, da nicht jeder Schritt planbar ist, zufällig und nicht exakt wiederholbar ist. Die im Film ebenfalls sichtbare Fahrbahnbegrenzung läuft größtenteils parallel zu dieser Linie, es finden sich aber auch Überschneidungen. Zeitgleich zeichnete das Handy die GPS-Linie des zurückgelegten Weges auf. Die Applikation Runtastic rief stetig GPS-Signale ab, die sich auf der mobilen Karte zu einer Linie verbanden.
Doch: Gegangene Linie und digitale Linie sind niemals tatsächlich eins. Die Differenz zwischen real zurück gelegtem Weg, der Videoaufzeichnung, der GPS-Linie und dem Stadtplan, die, wenn auch marginal, eine Spannung erzeugte, ließ einen Spielraum entstehen, den Beate Gärtner in weiteren Arbeiten erneut aufgriff und umformte: Durch die Gegenüberstellung der aufgenommenen GPS- Route und dem Stadtplan entstand ein Vorstellungsraum, den die Künstlerin in „Zwischen Google Maps und GPS I-III“ für sich nutzte. In drei Plexiglaskuben organisieren sich die beiden Linien neu. Durch Bohrlöcher im Plexiglas, die auf der einen Seite des durchsichtigen Kastens für die generierten GPS-Punkte und auf der gegenüberliegenden für die Linie, die Beate Gärtner bei Google Maps angezeigt wurde, stehen, werden diese durch die Fäden im Inneren des Kastens in eine Beziehung zueinander gesetzt. Von außen als solche zu erkennen, werden die Linien durch die freie Anordnung der Fäden, die sich allein an Beate Gärtners ästhetischem Empfinden orientiert, im Innern der Objekte so miteinander verbunden. Der Raum ist ausgefüllt von Spannung und Dynamik und entwickelt ein Eigenleben.
Die Künstlerin bewegt sich so weg von den häufig als gegeben und erstarrt wahrgenommen Daten und transferiert sie in etwas Neues. Sie sind nun lediglich der Ausgangspunkt der Arbeiten. Die Verspannungen im Innern der Kästen entwickelte die Künstlerin auf Grundlage dieser in einem Gestaltungsprozess.
Die von Beate Gärtner als Fadenzeichnung bezeichneten Papierarbeiten „Fadenzeichnungen nach Stadtplan, „Fadenzeichnung nach Höhenmeter“ und das Leporello „Der Zoomfaktor bestimmt die Information“ funktionieren ähnlich. Auch hier wird eine kartographische Linie, die sich ursprünglich auf Höhenmeter, einen Stadtplan oder auf Daten der Applikation Google Maps bezog, zur geometrischen Form und organisiert sich frei auf der Fläche. Durch die beidseitig zu betrachtende „Zeichnung“ schafft die Künstlerin eine Gegenüberstellung der vorgegebenen Linie auf der einen Seite und der frei entwickelten geometrischen Formen auf der Rückseite. Hierbei ist es von Bedeutung, dass die rückseitige „Zeichnung“ in direkter Abhängigkeit durch die Verbindungen der Linien auf der Vorderseite entstehen. Die geometrischen Formen erinnern an architektonische Gebilde und spannen damit den thematischen Bogen zum Stadtplan, auch wenn sie sich, so wie die Verspannungen in den Kuben, von kartographischen Fakten loslösen. Beate Gärtner erinnert die Betrachtenden mit ihrem Werk an die Tatsache, dass der Mensch zwar mehr und mehr die Kontrolle an technische Geräte abgibt und sich zunehmend mehr auf diese verlässt.
Gleichzeitig zeigt Sie auf, dass die technischen Möglichkeiten stets Grenzen haben – denn selbst die exakteste Karte gibt immer nur eine Teilrealität wieder, die, je nach Sichtweise und Betrachter Standpunkt, auf unterschiedliche Art und Weise transformiert, umgedeutet und verändert werden kann. Diese Grenzen stehen ganz im Gegensatz zum kreativen Schöpfergeist, der diese Grenzen aufzusprengen vermag und überwindet. Mithilfe von einfachen geometrischen Formen nähert sich Beate Gärtner spielerisch der komplexen Thematik der Rationalisierung und Technisierung der Welt und regt so zum Hinterfragen dieser an.
Judith Brinkmann, Kunsthistorikerin
Das digitale Zeitalter ist ein Zeitalter der Bilder und Informationen, die ständig auf uns hereinstürzen. Alles ist dank WLAN und Smartphone jederzeit und an (fast)
jedem Ort der Welt abrufbar. Oftmals sind die Informationen dabei so mannigfaltig, dass man schnell die Orientierung verlieren kann. Was gerade noch wahr ist, kann im nächsten Moment schon als
Lüge enttarnt werden, was modern und angesagt ist, ist kurze Zeit später schon längst wieder out und taucht möglicherweise unter dem Begriff „oldschool“ Jahre später noch einmal auf.
Beate Gärtner versucht mit ihrer Kunst ein gewisses Maß an Ordnung herzustellen, indem sie Dinge sichtbar macht, die sich dem Nutzer von Computer oder Tablet in der
Regel vollkommen entziehen. Die sogenannten neuen Medien und die dort angewendeten Technologien dienen ihr gleichermaßen als Inspirationsquelle und als Ausgangspunkt für ihre facettenreichen
Arbeiten.
Ganz gleich ob in Form von abstrakten Datensätzen, Geo- und GPS-Daten oder Captchas – Beate Gärtner nutzt die digitalen Informationen und verarbeitet sie zu real
erlebbaren Kunstwerken. Sie befreit die, lediglich aus endlosen Codes und Zahlenreihen bestehenden Quellen aus dem unsichtbaren Raum und verleiht ihnen ihre ganz eigene Gestalt.
Dabei verwendet die Künstlerin häufig einfache, industriell gefertigte Materialien, die einen starken Kontrast zur digitalen Ursprungsidee bilden.
Zudem lassen sich auch immer wieder „Fehlstellen“ oder Bearbeitungsspuren in ihren Skulpturen, Wandarbeiten und Installationen erkennen, die den Eindruck des
Individuellen und der tatsächlich händischen Herstellungsweise unterstreichen.
Dadurch gelingt es ihr eine Brücke zwischen der digitalen und der realen Welt zu schlagen, wirken ihre Arbeiten doch trotz des technischen Ursprungs bisweilen
archaisch und organisch.
Thomas Hensolt, Kunsthistoriker
galerie januar e.V., Bochum
„ ... Ein stark vom Sturm zerstörter Baum entging dank der Initiative eines Mitgieds des Bürgervereins dem Fällen und konnte als Erinnerung an Ela erhalten
werden.
Beate Gärtner entwickelte aus diesem „Naturdenkmal“ eine komplexe Symbolik: Die Form des erhaltenen Baumrumpfs findet sich als weiße Silhouette auf dem Stamm eines
überlebenden Baumes wieder, „Elas Zeichen“ ist Sinnbild für Zerstörung und zugleich eine schützende Haut, mit der der Mensch Natur zu bewahren sucht.
Die Spuren des Naturereignisses wie des menschlichen Eingriffs werden sich mit der Zeit verflüchtigen. Der beschädigte und gerettete Baum hat neu ausgetrieben und
die Schutzfarbe wird verschwinden. Die Erinnerung an Ela lebt jedoch auf vielfältige Weise fort.“
Prof. Dr. Sabine Bartelsheim, Kunsthistorikerin,
HBK, Essen